Die Systemtheorie (nach Luhmann*) beschreibt soziale Systeme als Kommunikationssysteme mit einer jeweils spezifischen “Sprache”. Das, was im System-Code kommuniziert wird, ist Teil des Systems, der Rest ist Umwelt. Systeme bestehen also letztlich aus Kommunikation: das Politische System ist Kommunikation in der “Sprache der Politik”, das Wirtschaftssystem ist Kommunikation in der “Sprache der Wirtschaft” und so weiter. Die Sprache des Systems (nach Luhmann ein binärer Kommunikationscode) ist anderen Systemen nicht verständlich. Sie können die fremde Sprache weder sprechen noch verstehen. Das bedeutet, dass das Politische System nicht mit dem Wirtschaftssystem kommunizieren kann und das Wirtschaftssystem nicht versteht, was im Politischen System kommuniziert wird. Gerade die Besonderheit der eigenen Kommunikation und das Nicht-Verstehen anderer Kommunikation etabliert die Systemgrenzen.
Da die Kommunikation des Systems an das System gebunden ist und von anderen nicht verstanden werden kann, bezieht sie sich auch stets auf sich selbst. Sie ist selbstreferenziell. Eine Kommunikation im System bezieht sich immer auf eine voran gegangene. Das setzt voraus, dass die erste Kommunikation anschlussfähig ist. Ist sie dies nicht, bricht die Kommunikation an dieser Stelle ab. Im Extremfall kann dies zum Ende des Systems führen.
Der Fortbestand eines System wird durch sich selbst gesichert, es ist autopoietisch. Dies erfordert eine Anschlussfähigkeit der Kommunikation. Kann an eine Kommunikation nicht mehr mit einer weiteren angeschlossen werden, wird die Kommunikation und damit das System beendet.
Systeme sind also für die (hier betrachtete) Systemtheorie binäre, selbstreferentielle, autopoietische Kommunikationssysteme.
Diese Grundvoraussetzungen gelten nicht nur für “große” Gesellschaftssysteme, sondern können auch auf Subsysteme übertragen werden. Demnach können auch Organisationen als solche Systeme betrachtet werden.
Organisationen als Kommunikationssysteme
Eine Organisation kann verstanden werden als ein soziales System, welches sich durch Spezialisierung ausdifferenziert hat. Zum Beispiel kann die Organisation eine Methode gefunden haben, ein bestehendes Problem besser und effizienter als andere zu bearbeiten, oder eine bestimmte Dienstleistung anbieten, die bisher noch nicht angeboten wurde.
Ein fundamentales Problem entsteht nun, wenn die Organisation eine bestimmte Größe, bzw. Komplexität erreicht. Es wird dann wahrscheinlich, dass die Organisation sich weiter ausdifferenziert und sich weitere spezialisierte Subsysteme ausbilden. Diese können dann die jeweils spezifischen Aufgaben effizienter erfüllen. Solche Subsysteme können zum Beispiel verschiedene Abteilungen sein. Während zum Beispiel ein Handelsunternehmen bis zu einer gewissen Größe Einkauf, Verkauf und Marketing in einem System bündeln kann, ist dies ab einer bestimmten Größe unwahrscheinlich. Es werden sich spezielle Abteilungen (zum Beispiel der Einkauf) ausdifferenzieren und auf eine bestimmte Aufgabe spezialisieren. Der Teil, der diese Funktion vorher inne hatte, wird quasi eingestellt. Funktionssystemen streben immer nach Redundanzverzicht. Haben zwei (Sub-) Systeme die gleiche Funktion, wird sich nur eines durchsetzen. Die Spezialisierung der Subsysteme bringt auch eine Spezialisierung der Kommunikation mit sich. Zur Erinnerung: gerade die spezielle Kommunikation etabliert das neue System. Die neue Kommunikation ist demnach auch nicht verständlich für die anderen Systeme. Um bildlich zu sprechen: der Einkauf weiß nicht, was das Marketing macht und der Verkauf kann das Management nicht verstehen.
Kopplungen
Organisationen erscheinen so zunächst als ein chaotischer Haufen unabhängiger Subsysteme, die untereinander nicht kommunizieren können. Damit nicht jede Abteilung (das ist: jedes Subsystem) in eine andere Richtung arbeitet und die Organisation (als übergeordnetes System) ihre Funktion nicht erfüllen kann, gibt es zwischen verschiedenen Systemen Kopplungen. Kopplungen können als Verbindungen zwischen Systemen verstanden werden. Sie ermöglichen einem System, ein anderes zu beeinflussen. Da, wie erwähnt, ein System nicht die “Sprache” des anderen verstehen kann, ist dies nun nicht direkt möglich. Eine Kopplung kann in einem System für eine “Irritation” sorgen. Dies kann man sich so vorstellen, dass durch die Kopplung die Kommunikation des Systems gestört oder irritiert wird. Das System kann nun auf diese Irritation reagieren. Ist die Irritation nun derart, dass das System mit der ihm eigenen Kommunikation anschließen kann, wird die Irritation im System verarbeitet. Die Irritation, die durch die Kopplung entsteht, muss also “anschlussfähig” sein. Das System muss eigene Kommunikation an die Störung anschließen können. Kopplungen können demnach verstanden werden, als Möglichkeit, von außen auf die Kommunikation eines System einzuwirken. Ein Beispiel für solche Kopplungen sind Steuern. Das politische System wirkt mit diesen auf das Wirtschaftssystem ein. Natürlich können solche Kopplungen auch destruktiv sein. Irritiert die Kopplung ein System zu stark und stört damit die Kommunikation des System zu heftig, kann es zu einem Ausfall des Systems kommen (zum Beispiel zu hohe Steuern).
Kopplungen in der Praxis
Wie sehen solche Kopplungen in der Praxis aus? Um verschiedene Kopplungen zu betrachten, ist es notwendig, einen etwas „unsauberen“ Wechseln zwischen theoretischer Grundlage und praktischer Realität zu vollziehen. Die abstrakte Systemtheorie lässt sich nur schwer 1:1 auf die Praxis übertragen. Wichtig ist, die grundlegende Aussage der Unterschiedlichkeit und Getrenntheit verschiedener Systeme im Kopf zu behalten. Betrachten wir also, wie sich Kopplungen in der Praxis darstellen.
Unternehmen versuchen auf verschiedene Weisen, das Miteinander der Subsysteme zu optimieren und so einen reibungslosen Ablauf zu organisieren. Einige Unternehmen setzen zum Beispiel auf Rotationssysteme. Mitarbeiter im Unternehmen rotieren durch verschiedene Abteilungen, um ein möglichst gutes Verständnis für die Arbeit anderer zu bekommen. Alternativ werden Mitarbeiter auch für kürzere Zeiträume aus der eigenen Abteilung in eine andere, mit ihrer Stammabteilung verbundenen, versetzt. So soll ermöglicht werden, das Zielsystem möglichst effizient zu irritieren. Die Mitarbeiter sind zwar weiterhin in ihr Stammsystem eingebunden und sind den dortigen Regeln unterworfen, Kopplungen in andere Systeme können aber effizienter gestaltet werden, wenn man das Zielsystem kennt.
Häufig sind Kopplungen aber nur in Form von Organigrammen zu finden. Abteilung A gibt Anweisungen an Abteilung B, Abteilung B berichtet an Abteilung C, Abteilung C legt Verhaltensregeln für Abteilung D fest. Solche Kopplungen, die allein auf einem Organisationsdesign beruhen, können sehr defizitär sein, da häufig die Kopplung in der Kommunikationsform des Ursprungssystems erfolgt. Die Irritation des Zielsystems kann häufig nicht gut bearbeitet werden und kann somit die Funktion des Systems negativ beeinflussen.
Eine weitere Form von Kopplungen können sogenannte Unternehmens-Wikis sein. Es handelt sich dabei im Prinzip um Datenbanken des Wissens innerhalb einer Organisation. Verschiedene Systeme greifen auf die gleiche Datenbank zu, können Beiträge verfassen oder Informationen abrufen. Die Produktentwicklung kann zum Beispiel schon in einer frühen Phase seiner Arbeit Informationen zum neuen Produkt bereitstellen. Andere Abteilungen (zum Beispiel Verkauf) können schon frühzeitig irritiert werden und die Informationen im eigenen System bearbeiten. Schwierigkeiten oder Störungen können wieder in die Datenbank zurückgegeben werden, was wiederum andere Systemen Gelegenheit gibt, sich mit der neuen Störung auseinanderzusetzen.
Ein ähnliches Ziel wird mit Ticket basierten Systemen (zum Beispiel Jira) verfolgt. Hierbei wird einer bestimmten Irritation eine Kennnummer (ein Ticket) zugeteilt. Dieses Ticket wird an betroffenen Systeme übermittelt, sorgt dort für Irritation und wird bearbeitet. Hat das Zielsystem (oder die Systeme) das Ticket bearbeitet, wird es im Ticket vermerkt und das nächste System kann sich mit der Irritation auseinander setzen. Wurde die Irritation von allen betroffenen Abteilungen bearbeitet und das Problem (oder Projekt) ist beendet, wird das Ticket geschlossen. Auch hierbei hat jedes Subsystem die Möglichkeit, in der eigenen Kommunikationsform auf die Irritation zu reagieren und die Wahrscheinlichkeit zur Anschlussfähigkeit erhöht sich.
Es gibt auch Unternehmen, die besetzen solche Kopplungen mit bestimmten Rollen. In Franchise-Unternehmen werden zum Beispiel Außendienstler eingesetzt, um Kopplungen zwischen der Zentrale und den angeschlossenen Betrieben herzustellen. Dieser Außendienst soll dann quasi als Übersetzer der Kommunikation des einen Systems zum anderen dienen. Ihm obliegt die Aufgabe, die Systeme, die er verbindet, angemessen zu irritieren.
Fazit
Die Systemtheorie bietet ein interessanten Ansatz, um mangelhafte Kommunikation in Unternehmen zu analysieren. Trotz, oder gerade wegen, ihrer Abstraktheit zeigt die Theorie Aspekte auf, die sonst übersehen werden können. Zwar dient sie zunächst nur der Analyse, mit etwas Abstand lassen sich aber auch einige Schlüsse auf die Praxis ableiten und Empfehlungen zur Organisationsentwicklung ausarbeiten.
Versteht man die Unterschiedlichkeit der verschiedenen Subsysteme (Abteilungen) und die Wichtigkeit der Anschlussfähigkeit von Kommunikation zwischen diesen (Kopplungen) zeigen sich viele Probleme der klassischen Unternehmenskommunikation. Einfache E-Mails, Anweisungen oder Informationen von einem System zum anderen sind häufig defizitär, wenn sie nicht die Kommunikationsform (das ist die praktische Arbeit) der anderen Abteilung ausreichend berücksichtigen.
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